Erik Kessels: Geheimnis schwarzer Hund
Vergilbte und längst vergessene Familienfotos von wildfremden Personen – was anderen Menschen wertlos erscheint, ist Erik Kessels größte Leidenschaft. Der niederländische Werber, Künstler und Publizist stöbert auf Floh- und Antikmärkten auf der ganzen Welt nach Fotografien aus längst vergangenen Zeiten. Etwa 150 000 Alben hat er so in den vergangenen Jahren vor dem Vergessen gerettet. Was ihn an den alten Fotografien reizt? Die Unvollkommenheit der Bilder, die technischen Pannen und vor allem die Geschichten der menschlichen Protagonisten – und natürlich auch die der tierischen.
Herr Kessels, Sie haben ein ungewöhnliches Hobby!
Ach, das finde ich eigentlich gar nicht. Fotos haben mich seit jeher interessiert. Jedoch nicht die Kunst, sie selbst zu schießen. Ich verstehe mich eher als Sammler und Kurator, der sich mit Bildern und Fotografien auseinandersetzt.
Lassen Sie uns über eine Ihrer ungewöhnlichsten Entdeckungen sprechen, den schwarzen Hund.
Vor etwa zehn Jahren bin ich eines morgens in New York über einen Flohmarkt geschlendert und habe ein Fotoalbum entdeckt, das mich sofort interessierte. Leider hatte ein anderer Mann es auch darauf abgesehen und feilschte mit dem Verkäufer um den Preis. Ich stand hinter ihm und schaute über seine Schulter ins Album. Ich weiß noch ganz genau, wie ich mir dachte: Diese Fotos muss ich unbedingt haben. Glücklicherweise waren dem Interessenten die zehn Dollar für das alte Album dann doch zu viel – und ich habe sofort zugeschlagen.
Was ist auf den Fotos zu sehen?
Auf etwa 80 Prozent der Bilder – egal ob im Garten, auf dem Sofa oder vor einer weißen Wand fotografiert – sieht man ein schwarzes Etwas. Man fragt sich: eine optische Täuschung, ein Geist oder ein Tier? Auf den ersten Blick konnte ich es nicht sagen – und das machte mich neugierig. Als ich die Bilder dann aber genauer untersucht habe, war ich mir dann doch schnell sicher: Bei dem mysteriösen Umriss handelt es sich um einen schwarzen Hund, ich vermute ein Spitz.
Und was genau fasziniert Sie an diesen ominösen Fotografien so sehr?
Ich finde es schon sehr bemerkenswert, mit wie viel Leidenschaft, Geduld und Beharrlichkeit die Hundebesitzer – der Bauweise der Häuser nach zu urteilen ein amerikanisches Pärchen – zwölf Jahre lang versuchten, ihr geliebtes Haustier zu porträtieren. Ohne Erfolg! Legt man die vielen Bilder nebeneinander, so wie ich es damals tat, hat die ganze Situation fast schon etwas Geheimnisvolles. Und witzig ist es allemal: Zum Beispiel das Foto, auf dem der Mann einen riesigen schwarzen Fleck streichelt. Oder eines, auf dem die Hausherrin neben etwas Undefinierbarem posiert. Und nicht zu vergessen die Fotografie, die sie in einer angeregten Unterhaltung mit etwas zeigt, das wie ein dunkles Dreieck aussieht.
Es ist auch etwas verwunderlich, dass das Ehepaar nach so vielen Jahren nicht aus seinen Fotografiefehlern gelernt hat, oder?
Schon ein wenig, das stimmt. Doch genau darüber bin ich ja froh. Denn perfekte Bilder, wie man sie heute zuhauf auf Instagram und Facebook sieht, kann jeder. Viel spannender sind authentische Bilder wie diese. Fotografien, die eine Geschichte erzählen.
Und welche Geschichte erzählen die vom schwarzen Hund?
Eine von zwei absoluten Tierliebhabern. Vielleicht hatten die Kinder des Paares bereits das Haus verlassen oder die beiden waren kinderlos. Sicher ist aber: Der Hund wurde sehr geliebt und spielte die absolute Hauptrolle im Leben der beiden. Und irgendwann ist es ihnen dann ja auch gelungen, ihren Liebling abzulichten. Das Witzige ist: Auch diese Begebenheit ergab sich wohl aus einem Fehler. Denn auf dem Bild, das den Hund im Garten vor dem Haus zeigt, sieht man zwar endlich mal das Gesicht des Tieres. Aber nur, weil das Foto komplett überbelichtet wurde.
Noch mehr Bilder vom schwarzen Hund gibt es in Erik Kessels Buch „In almost every picture #9“, bestellbar direkt beim Künstler: http://www.kesselskramerpublishing.com/“)