Befassen wir uns näher mit der Begrifflichkeit der Angst-Aggression. Hier stecken zwei Begriffe drin, die wir uns einmal anschauen sollten, zum einen die Emotion Angst und zum anderen das Verhalten der Aggression. Dies sind zwei Aspekte, die zum alltäglichen Leben dazugehören und tatsächlich oft sehr eng miteinander verbunden sind.
Aggressionen können grundsätzlich aus verschiedenen Emotionen heraus gezeigt werden. Angst ist eine davon. Angst sollte dabei jedoch nicht nur als rein negativ betrachtet werden, da sie eine wichtige Funktion hat: die eigene Gesundheit und das Wohlbefinden sollen geschützt werden. Hat der Hund also Angst, dass seine Gesundheit bzw. sein Wohlbefinden in Gefahr sind, wird er darauf reagieren – vielleicht indem er Fluchtverhalten zeigt oder aber Aggressionen. Diese Art der Aggression zählt dann zur defensiven Aggression und wird sehr häufig bei Unterschreitung der Individualdistanz gezeigt.
Auslöser für Angst-Aggressionen
Die Individualdistanz kennt jeder von uns. Bis zu einem gewissen Punkt darf uns unser Gegenüber nahekommen, manche näher als andere. Das ist abhängig von der Sympathie, den gemachten Erfahrungen, dem Gesundheitszustand und vielem mehr. Doch nicht nur wir Menschen haben diese Individualdistanz, sondern auch unsere Hunde. Bei ihnen spielen Erfahrungen ebenso eine Rolle, aber auch die genetische Komponente. Bei einem größeren Radius wird dies als Sicherheits- bzw. Fluchtdistanz bezeichnet. Der Hund wird bei Annäherung entweder mit Flucht oder Drohverhalten reagieren.
Kommt das Gegenüber allerdings noch näher, auf eine minimale Distanz heran, sprechen wir von der kritischen Distanz. Bei dieser Nähe gibt es für den Hund kein Entkommen mehr aus der Situation. Er wird mit Aggressionsverhalten und einem Angriff nach vorne reagieren, um sein Gegenüber fernzuhalten. Welche Ausmaße die jeweiligen Radien einnehmen, ist von Hund zu Hund verschieden. So kann es sein, dass bei manchen Hunden die kritische Distanz bereits bei unter fünf Metern erreicht ist und bei anderen erst bei wenigen Zentimetern.
Nehmen wir als weiteres Beispiel die territoriale Aggression. Sie zählt ebenso zur Angst-Aggression. Die Motivation, die hinter diesem Verhalten steckt, liegt in der Angst begründet, das wichtige Territorium zu verlieren. Es kann sich dabei um jegliche Form eines Territoriums handeln, wie beispielsweise das Auto, das Haus, die Wohnung oder auch der Garten. Der Lebensraum wird dabei sowohl gegenüber Artgenossen als auch gegenüber Menschen verteidigt. Obwohl die territoriale Aggression in der Sorge um das Territorium begründet ist, d. h. sie defensiv ist, wird sie im Verlauf sehr oft immer offensiver. Dies liegt an den Erfahrungen, die der Hund macht: er vertreibt immer wieder erfolgreich Eindringlinge. Dies führt dazu, dass der Angstanteil abnimmt und der Hund immer selbstbewusster wird. Daher wandelt sich hier auch oft das Ausdrucksverhalten von anfänglich defensiv zu immer offensiver.
Wann muss bei Angst-Aggression der Tierarzt eingeschaltet werden?
Da auch Erkrankungen und Schmerzen Ursachen für Angst und Aggressionsverhalten sein können, ist im ersten Schritt das Aufsuchen eines Tierarztes dringend zu empfehlen. Dieser kann herausfinden, ob eine Erkrankung vorliegt und/oder ob dein Hund Schmerzen hat, die ursächlich für seine gezeigten Aggressionen sind.
Management – wichtig und elementar
Bei dem Thema Angst-Aggression ist Aufklärung und Hintergrundwissen sehr wichtig, um das Verhalten des Hundes besser deuten und verstehen zu können. Gerade das Erkennen von Stresssignalen sowie das richtige Einordnen von Aggressionsverhalten sollte genauer beleuchtet und verstanden werden.
Bist du dir unsicher, ob du deinen Hund in seiner Körpersprache und seinem Verhalten richtig verstehst, suche dir Unterstützung bei einem Hundetrainer. Dieser wird dir helfen können, die Stressanzeichen deines Hundes zu erkennen und sein Aggressionsverhalten richtig einzuordnen.
Um Alltagssituationen zu managen und dafür zu sorgen, dass keiner zu Schaden kommt, lohnt es sich, ein Maulkorbtraining aufzubauen. Wird der Maulkorb positiv antrainiert, kann dein Hund entspannt und ruhig den Maulkorb tragen, ohne diesen als Störfaktor zu empfinden. Durch den Maulkorb kannst du die jeweiligen Situationen stressfreier meistern, da es dir persönlich Sicherheit vermitteln und Gewissheit geben kann, dass keiner verletzt wird. Dies wiederum führt oft auch zu einer größeren Entspannung des Hundes, da Stimmungsübertragung hier nämlich häufig eine zentrale Rolle spielt.
Des Weiteren dürfen die bisher gemachten Erfahrungen deines Hundes nicht außer Acht gelassen werden. Schlechte oder mangelnde Erfahrungen können ursächliche Faktoren für eine Angst-Aggression sein. Hast du beispielsweise einen Welpen, ist es ratsam, bereits früh den Grundstock für möglichst viele positive Erfahrungen zu legen. Hast du hingegen einen Tierschutzhund aus dem Ausland adoptiert, weißt du wohlmöglich nicht sehr viel über seine Vergangenheit und kannst ihn unter Umständen nicht richtig einschätzen. Deshalb sind hier besonders viel Fingerspitzengefühl und Geduld gefragt. Mit auf ihn abgestimmten Trainingsschritten und vielen positiven Erfahrungen kannst du ihm Sicherheit und Rückhalt bieten.
Deinem Hund einen sicheren Rückzugsort zu schaffen, wie beispielsweise eine Hundebox oder ein Körbchen, kann zudem sehr hilfreich sein. Positiv antrainiert und vielleicht sogar mit einem Entspannungssignal verbunden, kann dein Hund an diesem Ort zur Ruhe kommen und entspannen. Das kann Situationen enorm entstressen und deinem Hund viel Sicherheit geben. Ebenso kann sich dein Hund von sich aus dorthin begeben, um sich zurückziehen, wenn es zu stressig für ihn wird.
Dieser Artikel stellt keine Alternative zum Tierarztbesuch dar.
Kristina Ziemer-Falke ist zertifizierte Hundetrainerin und Verhaltensberaterin durch die Tierärztekammer Schleswig-Holstein und das Messerli Forschungsinstitut der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Darüber hinaus verfügt sie über viele Zusatzausbildungen und Schwerpunkte und ist im Prüfungsausschuss der Tierärztekammer Niedersachsen für die Hundetrainerzertifizierungen.
Mit ihrem Mann Jörg Ziemer gründete sie das Schulungszentrum Ziemer & Falke, in dem sie seit vielen Jahren mit viel Herz, Leidenschaft und Kompetenz Hundetrainer in ganz Deutschland ausbilden und viele Weiterbildungsangebote anbieten. Viele kennen Kristina außerdem als erfolgreiche Autorin von Fachbüchern für Hundetrainer und Hundehalter sowie aus Artikeln beliebter Hundezeitschriften. Als Dozentin ist Kristina Ziemer-Falke sehr gefragt und deutschlandweit auf Seminaren und Vorträgen zu Themen rund um den Hund anzutreffen.